Gruppenphasen in Seminaren


Gruppenphasen

 

Marco geht heute zu einem Seminar, für das ihn sein Arbeitgeber angemeldet hat. Er kennt dort niemanden. Ein bisschen aufgeregt ist er schon, weil er nicht weiß, was auf ihn zukommt. Beim Seminar angekommen schaut er sich die Seminarleitung und die anderen Teilnehmer erst mal skeptisch an. Scheinen ja alle ganz nett zu sein… nur der eine nervt ein wenig, weil er sich immer in den Vordergrund spielt. Marco macht immer mal ein Späßchen, damit die Atmosphäre locker wird. Der Seminarleiter ist nett und das Thema interessant.

Nach einer Weile sollen sich die Teilnehmer eigenständig gemeinsam etwas erarbeiten und dann vortragen. Der nervige Seminarteilnehmer spielt sich auch hier wieder in den Vordergrund und will den Ton angeben. Erst wehren sich alle dagegen. Aber eigentlich strukturiert er die Diskussion sehr gut und so kommt die Gruppe schnell zu einer Aufgabenverteilung und Ergebnis. Marco soll das Ergebnis vortragen, weil er spannend und unterhaltsam sprechen kann. Das freut ihn, so kann auch er mal im Mittelpunkt stehen. Alle sind zufrieden. Bei der nächsten Gruppenaufgabe klappt die Aufgabenverteilung nochmal besser und schneller. Es macht richtig Spaß.

Schnell ist der Seminartag zu Ende und hat richtig Spaß gemacht. Marco ist fast ein bisschen traurig, dass er die anderen Teilnehmer morgen nicht mehr sehen wird. Die Seminarleitung schlägt vor, gemeinsam Abendessen zu gehen um den Tag ausklingen zu lassen.

 

Typische Gruppenprozesse

Was Marco hier erlebt sind typische Gruppenprozesse, die in jedem Seminar im Hintergrund vollzogen werden. In Gruppen gibt es -neben vielen Unterschiedlichkeiten und Überraschungen- auch Regelmäßigkeiten, die mit einiger Wahrscheinlichkeit im Laufe eines gruppenorientierten Lern- und Arbeitsprozesses auftreten und diesen beeinflussen. So durchläuft eine Gruppe verschiedene Entwicklungsstufen (Gruppenphasen). Die definierten Phasen sind idealtypisch und modellhaft zu sehen und dürfen deshalb keinesfalls als `Muss` verstanden werden.  Dennoch können sie der Seminarleitung Orientierungshilfen über den aktuellen Stand und die Problembereiche einer Gruppe geben. Über die folgend erläuterten Gruppenphasen Bescheid zu wissen ist daher -trotz aller Abstraktion- für die Begleitung von Gruppen hilfreich.

 

Die fünf Gruppenphasen

1) Orientierung und Exploration (Forming)

Der Anfang einer Gruppenentwicklung ist gekennzeichnet durch die Unsicherheit der Teilnehmenden und der Erwartung oder sogar Angst vor dem, was kommen könnte. Es wird versucht, Ordnung und Überblick zu erlangen und die Situation inklusive aller Anwesenden (auch der Seminarleitung) einzuschätzen. Die Teilnehmenden sollten die Möglichkeit bekommen, sich einzufinden und kennen zu lernen sowie ihre Erwartungen einzubringen. Wichtig ist, dass die Teilnehmenden den organisatorischen Rahmen sowie das Ziel des Seminars bzw. die inhaltlichen Schwerpunkte erfahren. Diese Informationen geben Sicherheit und machen ein weiteres, effektives Zusammenarbeiten möglich. Auch zum Beginn  eines Seminars gilt: Der erste Eindruck zählt. Denn er stellt die Weichen für die Lernbereitschaft und somit für den weiteren Verlauf des Seminars

 

2) Auseinandersetzung und Machtkampf (Storming)

Nachdem das Grundproblem gelöst ist, nämlich die Einschätzung, ob das Verbleiben in der Gruppe ungefährlich und erfolgsversprechend ist, versuchen die Teilnehmenden ihren Platz innerhalb der Gruppe zu finden. In dieser Phase steht das Ich-Denken und Konkurrenzverhalten im Vordergrund, es wird der eigene Platz in der Rangordnung erkämpft und verschiedene Rollen kristallisieren sich heraus. Ebenso sind Widerstände gegen den Lehrenden und dessen Methoden möglich. Die Rollenfindung kann unterstützt werden, indem beratend und motivierend geholfen wird, die Fähigkeiten und Stärken der einzelnen Gruppenmitglieder herauszufinden. Ziel ist es, dass, nach und nach der Machtkampf um die eigene Position in der Rollenstruktur unwichtiger wird und das gemeinsame Ziel in den Vordergrund rückt.

 

3) Ordnen (Norming)

Nachdem die Seminarteilnehmer ihren Platz in der Gruppe gefunden haben, bildet sich eine starke Identifikation mit der erkämpften Rolle, dem gemeinsamen Ziel und den anderen Mitgliedern. Aus dem Ich-Denken ist ein Wir-Gefühl geworden. Eine Ordnung ist hergestellt, in der sich die Teilnehmenden sicher fühlen. Die Gruppe wird nunmehr selbständiger und ist weniger auf die Hilfestellungen angewiesen. Die Seminarleitung sollte sich daher mehr und mehr zurückziehen und den Prozess – beobachtend und ggf. eingreifend – entwickeln lassen. Wichtig ist, dass die Leitung sich nicht vom Wir-Gefühl mitreißen lässt und die professionelle Distanz, mit dem Blick auf seine Rolle, behält: die Gruppe eine Zeit lang zu begleiten und wieder in die Selbständigkeit loszulassen.

 

4) Festigung, zusammen arbeiten (Performing)

Da sich die Gruppe nun etabliert hat, kann sich auf die Erarbeitung des gemeinsamen Ziels konzentriert werden. Das Erreichen des Ziels und die Zusammenhalt der Gruppe ist das wesentliche Anliegen der Gemeinschaft und Antrieb für den Energieaufwand. Die Seminarleitung sollte sich während dieser Phase weitgehend zurückziehen und eine beobachtende Position einnehmen. Wichtig ist zu beachten, dass trotz der etablierten Gruppenstrukturen das System auch wieder kippen kann, da trotz Rollenverteilung jederzeit Rivalitäten aufkommen können.

 

5) Abschluss und Neuorientierung (Closing)

Hat die Gruppe ihr Ziel erreicht, so löst sie sich je nach Kontext auf, oder findet neue gemeinsame Ziele, so dass sie in der bestehenden Form weiter existieren kann. Aufgabe der Seminarleitung ist es nun, die Gruppenmitglieder beim Übergang in die neue Situation zu betreuen. Es gilt, Transferhilfe zu leisten, damit die Teilnehmenden die im Lernprozess erworbenen Erkenntnisse in ihre Realität/ihren Alltag übertragen können.

 

Konsequenz für die didaktische Planung.

Die Seminarleitung kann sich grundsätzlich an den beschriebenen Gruppentheorien orientieren, sollte aber im Blick behalten, dass es sich um verallgemeinerte Darstellungen handelt, die innerhalb verschiedener Gruppen stark differieren können. Dies bedeutet für die Seminarleitung einerseits (um die schlechte Nachricht voranzustellen), dass Gruppenprozesse wesentlich schwerer vorhersehbar sind, als es die Theorie darstellt, dass wir aber andererseits auch zu späteren Zeitpunkten auf flexible Strukturen treffen und eingefahrene Mechanismen und Strukturen sich durchaus lösen und entwickeln können.

 

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